Im Interview mit Stephen McIntosh: Die Bedeutung digitaler Prüfungstools und KI in der Praxis der Wirtschaftsprüfung

Marco Bogendörfer: Beginnen wir mit einem Blick auf das System der Wirtschaftsprüfung im Allgemeinen: Wie weit sind wir mit der digitalen Transformation in der Wirtschaftsprüfungspraxis in Deutschland und Österreich – und welche Auswirklungen hat sie aktuell auf die bestehenden Prozesse in der Abschlussprüfung? 


Stephen McIntosh: Das lässt sich nicht so leicht beantworten und hängt entscheidend davon ab, welche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Sie betrachten. Die Big Four investieren seit Jahren mehrere Milliarden Euro in digitale Technologien und schaffen ihre eigenen Lösungen. Diese Finanzkraft haben kleine und mittelständische Kanzleien natürlich nicht.

Stephen McIntosh, Dipl. Kaufmann, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, INTARIA AG

Darüber hinaus kommt es aber meines Erachtens entscheidend darauf an, ob in der Wirtschfaftsprüfungs-Praxis bzw. deren Leitung, grundsätzlich eine Affinität zu digitalen Lösungen und Investitionsbereitschaft besteht. Ist dies gegeben, kann und wird die digitale Transformation auch in mittleren und kleineren Kanzleien weiter voranschreiten.

Letztlich wird dies aber auch der Markt einfordern. Aktuelle Studien von Big Four-Gesellschaften belegen, dass mehr als ein Drittel der befragten Unternehmen in den kommenden fünf Jahren einen Automatisierungsgrad in der Abschlussprüfung von mindestens 40% erwarten. Diese Erwartung an die Abschlussprüfung wird sicherlich nicht nur die Big Four betreffen.

Die digitale Transformation ist ja auch ein Prozess der bereits vor vielen Jahren begonnen hat und stetig weiterentwickelt wird. Wir nutzen bereits seit vielen Jahren digitale Systeme zur Durchführung und Dokumentation unserer Abschlussprüfungen. Diese wurden sukzessive ergänzt durch Plattformen zum sicheren Austausch der sensiblen Unternehmensdaten, Tools für Saldenbestätigungsaktionen und auch Software zur Durchführung von Datenanalysen, die es uns auch ermöglichen, Stichproben nach mathematisch-statistischen Methoden zu generieren.

So erhöhen wir die Qualität in unseren Abschlussprüfungen und werden effizienter. In den kommenden Jahren werden auch kleine und mittlere Unternehmen zunehmend ihre internen Prozesse digitalisieren und so z.B. den Beschaffungsprozess von der Bedarfsmeldung, über die Bestellung und den Wareneingang bis zur Bezahlung vollständig digital abwickeln. Diese Daten bleiben im Rahmen der Abschlussprüfung bislang noch zu oft ungenutzt.

„Daten wie Bedarfsmeldung, Bestellung, Wareneingang oder Bezahlung bleiben im Rahmen der Abschlussprüfung bislang noch zu oft ungenutzt.“

Mit den gängigen Datenanalyse-Tools, wie auch mit dem Ai Auditor, können Haupt- und Nebenbücher analysiert werden. Für die Einbeziehung digitaler Prozesse in die Abschlussprüfung müssen weitere Tools genutzt werden. Um Ihre Frage vollständig zu beantworten: Die digitale Transformation führt dazu, dass die bestehenden Prozesse sowohl in der Wirtschaftsprüfungspraxis als auch der Abschlussprüfung stetig fortentwickelt werden müssen.

„Mit digitalen Prüfungstools kann ich 100 Prozent der Geschäftsvorfälle eines Geschäftsjahres lückenlos auf bestimmte Auffälligkeiten und Anomalien hin analysieren.“

Marco Bogendörfer: Wie können durch digitale Prüfungstools bestehende Prozesse effizienter werden und gleichzeitig die Qualität der Abschlussprüfung gesichert oder gar erhöht werden?

Stephen McIntosh: Eine Effizienzsteigerung wird in der Regel bereits dadurch erreicht, dass digitale Prüfungstools wiederkehrende Aufgaben abnehmen können. Wenn Mitarbeiter nicht mehr Saldenbestätigungen manuell ausdrucken, kuvertieren, versenden und auswerten müssen, können sie sich mehr mit inhaltlichen Themen auseinandersetzen.

Mit digitalen Prüfungstools – die internationalen Prüfungsstandards (ISA) sprechen hier von automatisierten Tools und Techniken (ATT) – kann ich 100 Prozent der Geschäftsvorfälle eines Geschäftsjahres lückenlos auf bestimmte Auffälligkeiten und Anomalien hin analysieren. Ein Mensch bräuchte hierfür viel zu lange. Die Erhöhung der Prüfungsqualität durch den Einsatz solcher digitalen Tools steht bei uns an erster Stelle. Bestimmte Bereiche können wir lückenlos prüfen, in anderen Bereichen können wir durch digitale Prüfungstools qualitativ noch bessere Stichproben ziehen, weil wir Posten mit größerem Fehlerrisiko bewusst auswählen können.


Marco Bogendörfer:
Müssen Wirtschaftsprüfer dafür etwa ein IT-Aufbaustudium absolvieren?

Stephen McIntosh: Da der Wirtschaftsprüfer diese Tools in der Regel nicht selbst entwickelt und programmiert, ist ein IT-Aufbaustudium entbehrlich. Um aber digitale Tools in der Abschlussprüfung einsetzen zu können, müssen die Mitarbeiter auch über gewisse IT-Kompetenzen verfügen. Digitale Tools müssen bedient werden, die von ihnen generierten Ergebnisse müssen interpretiert und verstanden werden. Auch muss ich Inhalt und Struktur von Datensätzen analysieren und verstehen können, bevor ich mit der Nutzung digitaler Tools beginne. Denn nur wenn ich richtige und vollständige Daten einspiele kann ich auch gültige Analyseergebnisse erhalten. Die Einführung und Nutzung von digitalen Prüfungstools erfordert daher meines Erachtens auch die entsprechende Schulung meiner Mitarbeiter.

Marco Bogendörfer: Wie sinnvoll ist in Ihren Augen der kombinierte Einsatz einer Datenanalyse-Software mit einer Collaboration-Software im Rahmen der Abschlussprüfung?

Stephen McIntosh: Solange die Collaboration-Software für den Ablauf einer Abschlussprüfung relevante Bereiche abdeckt, halte ich eine Kombination für sehr sinnvoll. Zumindest wir Wirtschaftsprüfer außerhalb der Big Four können nicht auf selbst entwickelte, voll integrierte IT-Lösungen zurückgreifen, mit denen der gesamte Prüfungsprozess abgebildet wird. Wir bedienen uns in der Regel einzelner Tools verschiedener Anbieter, die nicht immer über Schnittstellen zu der von uns verwendeten Prüfungssoftware verfügt. So müssen regelmäßig Daten aus einem System exportiert und in ein anderes System importiert werden, um z.B. Stichproben nach mathematisch-statistischen Methoden generieren zu können.

Wenn ich nun aber die erstellte Stichprobe direkt aus demselben Prüfungstool heraus dem Mandanten zur Verfügung stellen kann und vielleicht auch noch gleichzeitig die Dokumentation in meiner Prüfungssoftware erledige, schafft das auf jeden Fall Effizienzen und ist zu befürworten. Idealerweise wäre diese Collaboration-Plattform direkt mit dem ERP-System des Mandanten verknüpft, so dass die erforderlichen Daten direkt aus dem Mandantensystem heraus generiert, von Bots bzw. RPA`s (Robot Process Automation) aufbereitet und ohne weitere manuelle Arbeitsschritte in die Datenanalysesoftware eingespielt werden können. Das erspart viel Zeit und Aufwand auf Mandanten- und Prüferseite.

Marco Bogendörfer: Und wie kann der Ai Auditor von MindBridge im Rahmen einer Abschussprüfung einen Mehrwert erbringen?

Stephen McIntosh: In vielerlei Hinsicht. Die erste, ganz wesentliche Verbesserung im Vergleich zu unserem bisherigen Tool besteht darin, dass der Ai Auditor aus den eingespielten Daten die Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung generiert. Wir können also die vom Mandanten erhaltenen Daten sofort auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen.

Es ist tatsächlich schon öfter vorgekommen, dass die vom Mandanten generierten und bereitgestellten Daten unvollständig waren. Datenanalysen auf einer solchen Datenbasis führen leider zu für die Abschlussprüfung unbrauchbaren und damit nutzlosen Ergebnissen.

„Wir können die vom Mandanten erhaltenen Daten sofort auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen.“

Der Ai Auditor führt eine Risikobewertung sämtlicher Transaktionen eines Geschäftsjahres durch. Dabei ist für jede einzelne Transaktion transparent, wie das System zur Risikoeinschätzung kommt. Insbesondere die KI-basierten Machine Learning Algorithmen können die Buchungen identifizieren, die im Vergleich zu allen anderen ungewöhnlich bzw. auffällig sind.

Zusätzlichen Mehrwert liefern die grafischen Darstellungen der Analyseergebnisse und die vielfältigen Möglichkeiten, direkt in den Buchungsstoff einzutauchen und auszuwerten. Diese eignen sich sehr gut, um Kontenentwicklungen im Jahresverlauf sichtbar zu machen und die Ursachen der Entwicklung mit Mandanten zu diskutieren.

Marco Bogendörfer: Wie kam der Einsatz des Ai Auditors in Ihrer Kanzlei bei den Mitarbeitern an?

Stephen McIntosh: Alle Mitarbeiter, die den Ai Auditor bzw. dessen Analysen bislang gesehen haben, waren beeindruckt von den visuellen Darstellungen und den Möglichkeiten, die vorhandenen Daten auszuwerten und tiefergehend zu analysieren. Großes Interesse besteht auch darin, die Risikobewertung zu sehen und zu hinterfragen. Daneben gibt es auch Mitarbeiter, die die Software grundsätzlich gut finden, aber auch wissen wollen, welche konkreten Vorteile uns der Einsatz der Software bringt und wie sich die Kosten amortisieren.

Marco Bogendörfer: Und wie haben Mandanten auf den Einsatz des Ai Auditors reagiert?

Stephen McIntosh: Wir beginnen ja gerade damit, die Software standardmäßig bei allen unseren Pflichtprüfungen einzusetzen. Daher ist die Anzahl der Mandanten, die den Ai Auditor gesehen haben noch nicht so groß. Bei einer aktuell laufenden Abschlussprüfung habe ich meinem Mandanten den Ai Auditor gezeigt und wir haben uns zusammen die mit einem höheren Risiko bewerteten Buchungen angesehen. Wir haben auch hinterfragt, warum die KI-basierten Algorithmen diese Buchungen als „High-Risk“ eingestuft haben. Bei allen Buchungen konnten wir die „Einschätzung“ der Algorithmen nachvollziehen, auch wenn sich letztlich kein Buchungsfehler oder sogar ein Fraud-Sachverhalt dahinter verbarg. Aber in erster Linie geht es ja um die Identifizierung von Auffälligkeiten und Anomalien, also sogenannten Outliern, und das hat funktioniert. Mein Mandant hat die Software und auch den Einsatz der Software im Rahmen unserer Abschlussprüfung sehr positiv gesehen.

Marco Bogendörfer: Wie funktioniert der Ai Auditor konkret für die Prüfungspraxis und welche Art von Datensätzen können mit Hilfe des Ai Auditors analysiert werden?

Stephen McIntosh: Der Ai Auditor analysiert alle Buchungen eines Geschäftsjahres auf Hauptbuchebene. Dafür lassen wir uns in der Regel den „Export steuerliche Außenprüfung“, früher auch GdPdU-Daten bezeichnet, von unseren Mandanten geben. Mittlerweile bietet der Ai Auditor auch die Möglichkeit, Analysen für die Nebenbücher der Debitoren und Kreditoren durchzuführen. Diese nutzen wir aktuell noch nicht, da wir uns momentan auf die Einführung und Nutzung der Auswertungen auf Hauptbuchebene fokussieren.

Marco Bogendörfer: Wie müssen diese Datensätze beschaffen sein, um vom Ai Auditor ausgewertet werden zu können? Was sind Ihre Erfahrungen aus der Praxis bezüglich der Datenaufbereitung?

Stephen McIntosh: Grundsätzlich müssen die Datensätze entweder als Excel-Datei oder CSV-Datei vorhanden sein, um sie in die Software einspielen zu können. Bei größeren Datensätzen kommt man da mit Excel-Dateien aufgrund des gegebenen Zeilenlimits natürlich schnell an Kapazitätsgrenzen.

Darüber hinaus bestehen die Datensätze „Export steuerliche Außenprüfung“ bzw. „GdPdU-Daten“ aus Text-Dateien ohne Spaltenüberschriften. Wir haben uns für diese Daten ein Programm geschrieben, dass die Konvertierung in eine CSV-Datei mit Überschriften schnell durchführen kann. Ich würde sagen, dass wir in ca. 80% der Fälle die Datensätze ohne größere Probleme einspielen können.

Bei besonderen Datensätzen – das waren z.B. Datensätze mit unbekanntem Datenformat – oder mehrere Gigabyte große Datensätze kamen wir an unsere Grenzen. Mit der Hilfe der Experten von MindBridge konnten wir aber bislang alle Datensätze in die Software einspielen und auswerten. Die Datensätze enthalten zum Teil sehr unterschiedliche Informationen hinsichtlich Inhalt und Umfang.

Für jeden Datensatz ist es daher erforderlich, den Inhalt zu betrachten, da dieser die späteren Auswertungs- und Analysemöglichkeiten bestimmt. Für einen unproblematischen Datensatz benötigen wir daher ungefähr 30 bis 60 Minuten für das Einspielen.

Da der Ai Auditor eine eigene Kontenlogik für die Analysen verwendet, ist noch ein weiterer Schritt erforderlich. Die Konten des Datensatzes müssen den entsprechenden MindBridge Account Codes – sogenannten MAC Codes – zugeordnet werden. Dieses Kontenmapping ist für jeden neu angelegten Mandanten erforderlich und erfordert aktuell noch den größten Zeitbedarf.

Marco Bogendörfer: Welche Analyseergebnisse liefert der Ai Auditor? Sind das Standard Reports oder können auch individuelle Auswertungen ausgegeben werden?

Stephen McIntosh: Standardmäßig liefert der Ai Auditor für den analysierten Datensatz mehrere Risikoübersichten. Alle Buchungen auf Hauptbuchebene werden jeweils 29 Analysen – den sogenannten Control Points – unterzogen. Die Ergebnisse je Buchung werden zu einem Gesamtrisiko aggregiert und je nach Höhe des errechneten Risikowertes in den Kategorien High, Medium oder Low Risk gezeigt. Die einzelnen Buchungen können dann zur weiteren Prüfung betrachtet werden.

Darüber hinaus wird auch das Risiko je Bilanz- bzw. GuV-Posten in einer Art Kuchendiagramm dargestellt. In Abhängigkeit des Umfangs der über den Datensatz bereitstehenden Informationen können darüber hinaus Anzahl und Risikowerte der Buchungen nach Mitarbeiter, Art der Transaktion – beispielsweise Rechnung oder Gutschrift, etc. – oder anderen Merkmalen in einem X-Y-Diagramm angezeigt werden.

Schließlich stehen standardmäßig noch eine ganze Reihe von Verhältniskennzahlen, den sogenannten Ratios, als Graphiken zur Verfügung. Unterteilt in die Kategorien Activity, Going Concern, Liquidity und Profitability können aktuell 25 Grafiken, die jeweils die Entwicklung der Verhältniskennzahl im Jahresverlauf zeigen.

Und letztlich gibt es noch vielfältige Möglichkeiten, eigene Auswertungen und Analysen zu erstellen. So können zum Beispiel eigene Ratios definiert und angelegt werden. Oder die Jahresentwicklung einzelner Abschlusskonten kann, auch direkt im Vergleich zu der Entwicklung anderer Konten, in einer Grafik dargestellt werden. Im Grunde kann nach sämtlichen im Datensatz vorhandenen Informationen gefiltert und analysiert werden.

Marco Bogendörfer: Wie wird die Verlässlichkeit der MindBridge Datenanalyse Software gewährleistet?

Stephen McIntosh: Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Verwertung der Analyseergebnisse im Rahmen von Abschlussprüfungen ist, dass die analysierten Daten überhaupt dem zu prüfenden Abschluss entsprechen. Basieren meine Analysen und Schlussfolgerungen auf unvollständigen oder unrichtigen Daten, sind sie für die Verwertung im Rahmen der Abschlussprüfung wertlos.

Im Gegensatz zu anderen Tools generiert der Ai Auditor aus den eingespielten Daten und auf Basis des mandantenindividuellen Kontenmappings eine Bilanz und eine Gewinn- und Verlustrechnung. Als erste Prüfungshandlung werden diese mit dem Jahresabschluss des Mandanten abgestimmt. Erst wenn diese exakt übereinstimmen, starten wir mit der Auswertung der Analyseergebnisse.

Marco Bogendörfer: Was sind aktuell die größten Hemmnisse, bzw. Herausforderungen für den flächendeckenden Einsatz von Datenanalysetools?

Stephen McIntosh: In technischer Hinsicht besteht die größte Herausforderung darin, die Daten erstmal zu bekommen, um sie dann zügig und vollständig in das jeweilige Datenanalysetool einzuspielen. Es gibt einfach sehr viele verschiedene ERP- bzw. Buchführungssysteme, sodass das Exportieren der Daten nie gleich verläuft und sich auch die jeweils enthaltenen Informationen stark unterscheiden. Auch verfügen nicht alle unsere Mandanten über eine eigene IT-Abteilung und/oder die erforderlichen Kenntnisse zur Erstellung der Datendownloads.

Mitunter muss auch zuerst die oder der Datenschutzbeauftragte eines Unternehmens davon überzeugt werden, dass wir die Daten für Prüfungszwecke erhalten dürfen und sollten.

Innerhalb der Wirtschaftsprüferpraxis muss der Prüfungsprozess angepasst werden. Die Analysen müssen bereits zu Beginn der Prüfungsplanung und dann bis zum Ende der Prüfung eingesetzt werden. Nur dann kann die Einbindung der Software zu Effizienzsteigerungen führen. Das erfordert allerdings auch, dass in den Prüfungsteams neben Rechnungslegungs- und Prüfungskenntnisse auch IT-Kompetenz vorhanden ist. Das wiederum bedeutet Schulungsbedarf für die betroffenen Mitarbeiter.

Marco Bogendörfer: Wie können diese Herausforderungen bewältigt werden?

Stephen McIntosh: Indem alle Beteiligten ihren Beitrag leisten. Da wir selbst nicht Millionen oder Milliarden Euro in Entwicklungen investieren können, sind wir darauf angewiesen, dass die Softwareanbieter ihre Kompatibilität mit ERP-System sukzessive und zügig ausbauen. Hier können wir – denke ich – auch auf den Marktmechanismus vertrauen, denn auch auf dem Markt der Datenanalysetools gibt es Wettbewerb.

Wir werden in die Fortbildung unserer Mitarbeiter investieren und uns fortwährend mit dem effizienten Einsatz der Technologie im Rahmen unserer Abschlussprüfungen beschäftigen müssen. Am Ende sollen durch die erzielten Effizienzgewinne Freiräume geschaffen werden, um neue Produkte und Einsatzgebiete zu erschließen. Dadurch sollen sich die Investitionen am Ende auch amortisieren.

Marco Bogendörfer: Ermöglicht eine 100% Datenanalyse auch eine 100% Prüfung?

Stephen McIntosh: Nein. Eine 100% Datenanalyse liefert wertvolle Informationen und unterstützt detaillierte und fundierte analytische Prüfungshandlungen. Außerdem können sie durch die Identifizierung von Anomalien im Buchungsstoff die Adressierung des Risikos falscher Darstellungen im Jahresabschluss aufgrund doloser Handlungen sehr gut adressieren.

Auch für die Durchführung von Einzelfallprüfungshandlungen, zum Beispiel durch die Analyse von Verhältniskennzahlen wie Umschlagshäufigkeit im Vorratsvermögen oder Forderungsreichweiten, lassen sich Datenanalysen gut verwenden. Wenn es allerdings darum geht, die Existenz von Vermögensgegenständen, Schulden etc. zu prüfen, werden Sie das mit Datenanalysen alleine nicht hinbekommen. In der Regel sind die IT-Systemlandschaften bei Unternehmen stark heterogen, sodass man durch die Analyse von Haupt- und Nebenbüchern alleine kein ausreichendes Bild erhält.

Marco Bogendörfer: Wie wirken sich die Ergebnisse der Datenanalysen auf Art und Umfang manueller Prüfungshandlungen aus?

Stephen McIntosh: Datenanalysen helfen bei der Erlangung und Ausweitung unseres Verständnisses von Abläufen, Prozessen und Buchungsweisen von Geschäftsvorfällen unserer Mandanten. Dadurch wird die Durchführung analytischer Prüfungshandlungen unterstützt, das Stellen besserer und relevanterer Fragen gefördert. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den Datenanalysen können Stichprobenumfänge gegebenenfalls reduziert werden. Unter Berücksichtigung identifizierter Auffälligkeiten, kann die zu prüfende Grundgesamtheit durch die bewusste Auswahl von Stichprobenelemente zielgerichteter hinsichtlich spezifischer Risiken geprüft werden. Auch die Auswahl von Zufallsstichproben wird erheblich erleichtert, da ich diese direkt im Datenanalysetool für jede individuell organisierte Grundgesamtheit ziehen kann.

Marco Bogendörfer: Wie können die durch neue Technologien erlangten Prüfungsnachweise entsprechend dokumentiert werden?

Stephen McIntosh: Grundsätzlich gibt es keine konkreten Vorschriften, wie der Einsatz verwendeter Technologien und die dadurch erzielten Prüfungsergebnisse und –nachweise dokumentiert werden müssen. Im Ergebnis muss für einen sachkundigen außenstehenden Dritten nachvollziehbar sein, was auf welcher Grundlage mit welchen Ergebnissen gemacht wurde und welche Rückschlüsse hieraus gezogen wurden.

Der Ai Auditor hält zum Beispiel einen Standardreport bereit, der die durchgeführten Analysen beispielhaft erläutert, ebenso die Risikoklassifizierung aller Transaktionen und die Risiken je Bilanz- und GuV-Posten mit den jeweiligen buchenden Mitarbeitern grafisch darstellt – und die quantitativen Analyseergebnisse je Analyse (Control Point) zusammenfasst. Dieser Bericht kann über editierbare Textfelder mit Kommentaren ergänzt werden, sodass die jeweils gezogenen Schlussfolgerungen und/oder die weiterführenden Prüfungshandlungen in diesem Bericht zentral dokumentiert werden können. Dieser Bericht bildet meines Erachtens eine gute Grundlage für die Dokumentation.

Marco Bogendörfer: Entspricht der Einsatz des Ai Auditors den aktuell geltenden Prüfungsstandards? 

Stephen McIntosh: Ja, denn die Prüfungsstandards stellen keine spezifischen Anforderungen an die einzusetzenden Systeme. Das Prüfungsziel – Abgabe des Prüfungsurteils mit hinreichender Sicherheit – verändert sich durch den Einsatz von Datenanalysetools ja auch nicht. Allerdings kann der Weg, über den die hinreichende Prüfungssicherheit erreicht werden kann, durch den Einsatz von Datenanalysen verändert werden.

Da der Ai Auditor auch KI-basierte Algorithmen in Form von Machine Learning nutzt, ist auch die sogenannte Black-Box-Problematik zu beachten: Wir können nicht exakt sagen, auf welcher Grundlage der Algorithmus seine Ergebnisse generiert. Wir wissen, welche Daten zugrunde liegen, und wir können die Ergebnisse sehen. Der Weg dahin bleibt unsichtbar. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse zu beurteilen und ggfs. durch weitere Prüfungshandlungen zu ergänzen. In Zukunft wird es hierfür wahrscheinlich zertifizierte Algorithmen geben, deren Arbeitsweise und Wirksamkeit in geeigneter Weise überprüft wurden.

Marco Bogendörfer: Welche Fähigkeiten und welches Mindset sollten Wirtschaftsprüfer mitbringen für die erfolgreiche Digitalisierung der Abschlussprüfung?

Stephen McIntosh: Sie sollten offen sein für aktuelle digitale Entwicklungen, die Relevanz der digitalen Transformation in der eigenen Wirtschaftsprüfungspraxis erkennen und eine gewisse Investitionsbereitschaft haben. Darüber hinaus ist es sehr hilfreich, wenn Wirtschaftsprüfer über ein gewisses Maß an Kenntnissen über die grundsätzliche Beschaffenheit und Struktur der zu analysierenden Finanzdaten verfügen. Im Zuge des Einsatzes von Datenanalysetools ergeben sich regelmäßig datensatzbezogene Fragestellungen, die verstanden und gelöst werden müssen.

„Mir bereitet es viel Spaß, mich mit der digitalen Transformation zu beschäftigen.“

Dies beginnt bereits beim Einspielen von Daten in die jeweilige Software. Wenn man hier bei jeder Frage externe Hilfe benötigt, verliert man Zeit und generiert zusätzliche Kosten. Mir bereitet es viel Spaß, mich mit der digitalen Transformation zu beschäftigen. Ich habe vor gut einem Jahr damit begonnen, für unser bisher genutztes Datenanalysetool eine bessere Alternative auf Basis KI-basierter Algorithmen zu finden.

Inzwischen befinden wir uns mitten in der flächendeckenden Einführung des Ai Auditors und die Investitionen haben sich in einem vertretbaren Rahmen gehalten. Durch die intensive Beschäftigung mit der Digitalisierung ergeben sich regelmäßig weitere spannende Themen und Fragestellungen, sodass es schon weitere Themen gibt, die ich als nächstes angehen möchte.

„Unsere Kunden müssen sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und fortwährend investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie werden nicht dauerhaft akzeptieren, wenn ihr Wirtschaftsprüfer an etablierten Prüfungstechniken festhält und in der analogen Welt hängen bleibt.“

Marco Bogendörfer: Darüber machen wir dann ein weiteres Interview! Eine Wirtschaftsprüfungskanzlei ist auch ein Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht. Die einen sind der Meinung, die Digitalisierung sei zu teuer, andere denken, sie wäre unmenschlich und würde Arbeitsplätze vernichten und wiederum andere glauben, Kanzleien, die die Digitale Transformation aussitzen wollen, seien wirtschaftlich dem Untergang geweiht – wie ist Ihre Einschätzung?

Stephen McIntosh: Ich bin der Auffassung, dass es mittelfristig teurer ist, nicht an der fortschreitenden Digitalisierung teilzunehmen. Unsere Kunden müssen sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen und fortwährend investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie werden nicht dauerhaft akzeptieren, wenn ihr Wirtschaftsprüfer an etablierten Prüfungstechniken festhält und in der analogen Welt hängen bleibt.

Der Mandant wird kein Verständnis mehr dafür haben, wenn wir manuell in Stichproben prüfen, während andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften digital den gesamten Buchungsstoff abdecken. Unsere Mandanten werden ihre Prozesse und Kontrollen auch zunehmend in digitale Systeme verlagern. Die Prüfung, ob diese Abläufe richtig und vollständig über das gesamte Geschäftsjahr hinweg eingehalten wurden, kann man selbstverständlich auch manuell durchführen. Nur wird man dafür sehr viel Zeit benötigen, während ein entsprechend programmierter Bot für dieselbe Tätigkeit Sekunden braucht.

Ich glaube auch nicht daran, dass durch die Digitalisierung Arbeitsplätze vernichtet werden. Im Gegenteil, es werden neue Arbeitsplätze entstehen, denn mit den größeren und besseren Möglichkeiten eröffnen sich auch neue Geschäftsfelder. Diese Tools können ja nicht nur in der Abschlussprüfung eingesetzt werden.

Wir als mittelständische Kanzlei werden natürlich keinen DAX-Konzern als Prüfungsmandat übernehmen können. Aber warum sollten wir nicht in der Lage sein, prüfungsnahe Beratungsdienstleistungen anzubieten und durchzuführen.

Ob nun die Digitalisierungsverweigerer unter den Abschlussprüfern dem Untergang geweiht sein werden, weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass sich der ihnen zur Verfügung stehende Markt zunehmend verkleinern wird. In Abhängigkeit von der individuellen Situation wird es im Einzelfall vielleicht tatsächlich nicht mehr notwendig sein, in großem Umfang zu investieren. Wer aber noch über die nächsten 5 bis 10 Jahre hinaus am Markt erfolgreich sein will, kommt meines Erachtens nicht an der Digitalisierung vorbei.